Fahrerassistenzsysteme sollen eigentlich die Sicherheit erhöhen, doch manchmal lösen sie unerwünschte und gefährliche Bremsmanöver aus. Wir haben mit betroffenen Fahrern gesprochen und gehen diesem besorgniserregenden Phänomen auf den Grund.
Sie heißen Paul, Patrick, Georges, Stephan, Martine … Alle haben denselben schreckhaften Moment erlebt: eine plötzliche Bremsung ohne ersichtlichen Grund, ausgelöst durch ihre Autos, die mit Fahrerassistenzsystemen ausgestattet sind. Diese Phantombremsungen treten auf Autobahnen, in der Stadt und manchmal beim Ausfahren aus einer Garage auf. „Bei 120 km/h auf der A8 bremste mein VW Tiguan voll, das Lenkrad blockierte und das Auto kam teilweise auf der Fahrbahn zum Stehen”, erzählt Patrick K., der noch immer unter dem Eindruck des Vorfalls steht. „Zum Glück war niemand hinter mir. Sonst hätte es einen Unfall gegeben.” Paul S., Besitzer eines Volvo V60, berichtet, dass die Bremsen seines Autos „zwei Mal pro Jahr” plötzlich auslösen und es auch Fehler bei der Verkehrszeichenerkennung gebe. Georges B., Fahrer eines Skoda Kodiaq, erlebte, wie sein Auto „vor einer Schule in einer halben Sekunde von 25 auf 0 km/h abbremste”. Sein Enkelsohn auf dem Rücksitz wurde ordentlich in den Gurt gepresst. Stephan L., ehemaliger Autotester, deaktivierte die automatische Bremsfunktion: „Andernfalls hätte mein Auto schon ein Dutzend Mal grundlos gebremst. Stellen Sie sich vor, ein Motorrad würde hinter mir fahren …”
Martine ist immer noch erschüttert von dem Erlebnis mit ihrem Skoda, der plötzlich auf der Autobahn bremste. Stefan D. stellte fest, dass die Phantombremsungen oft am gleichen Ort auftreten: „Mein Fahrzeug, ein aktueller BMW, bremst regelmäßig an zwei bestimmten Stellen phantomartig: einmal in Remich, einmal in Colmar-Berg, vorausgesetzt, der Tempomat ist aktiviert. Das Auto ist bald vier Jahre alt, hatte noch nie einen Unfall, steht jede Nacht in einer geschlossenen Garage, die Windschutzscheibe wird nach jeder Fahrt gereinigt. Kurz gesagt, es gibt keinen erklärbaren Grund für dieses Phänomen.”
Aus den zahlreichen Erfahrungsberichten von ACL-Mitgliedern lässt sich ein klarer Trend ablesen: Die Fälle sind zahlreich und sie betreffen eine Vielzahl von Marken. Die Ursachen? Schwer zu bestimmen. Die meisten Personen, die sich bereit erklärt haben, ihre Erfahrungen zu teilen, betonen, dass die Autohäuser das Thema ernst nehmen: Überprüfung des Fahrzeugs, manchmal mehrtägige Stilllegung, um Updates durchzuführen, Neukalibrierung der Sensoren. Auf klare und ausführliche Erklärungen warteten sie aber vergebens.
Die Phantombremsungen bleiben besorgniserregend und können eine echte Gefahr für Autofahrer darstellen. „Diese Systeme sollen Leben retten, aber ihre Zuverlässigkeit ist bei weitem nicht garantiert“, warnte Dr. Yves Wagner, Präsident des ACL, im Leitartikel der letzten „Autotouring“-Ausgabe. „Im Gegenteil, sie können zu extrem gefährlichen Situationen führen.“
Für die Hersteller ist es ein sensibles Thema, auch wenn sie beschwichtigen. In den meisten Fällen verweisen die Marken, wenn sie dazu befragt werden, auf die technologischen Fortschritte, die zu sinkenden Unfallzahlen geführt haben.
Mercedes beispielsweise erinnert daran, dass „der Active Brake Assist einen entscheidenden Beitrag zur Unfallverhütung leisten kann. Leider lassen sich ungewollte Warnungen oder Bremsungen im Interesse der Sicherheit nicht immer vermeiden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Systeme so konzipiert sind, dass sie leistungsstärker und reaktiver sind“. Der Autobauer fügt hinzu: „Es ist wichtig daran zu erinnern, dass diese Systeme mit der Sicherheit als oberster Priorität entwickelt werden. Wir verbessern unsere Algorithmen stetig, um Fehlalarme so weit wie möglich zu reduzieren. Die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung dieser Technologien versprechen eine Zukunft, in der Notbremsassistenzsysteme einen äußerst zuverlässigen Schutz bieten, mit einem absoluten Minimum unbegründeter Bremsungen.“
Keine Fälle in Luxemburg gemeldet
Glücklicherweise gab es in Luxemburg noch keine Verletzten durch Phantombremsungen. In Frankreich wurden innerhalb weniger Monate mehr als 400 Erfahrungsberichte gesammelt. Mindestens ein tödlicher Unfall wird auf dieses Phänomen zurückgeführt: Eine Fahrerin erlebte, wie ihr Auto innerhalb von drei Sekunden aus Tempo 130 zum Stillstand kam. Ihre Beifahrerin kam ums Leben. In Deutschland wurden ähnliche Vorfälle auf der A8 und der A40 gemeldet. In Belgien leitete das IBSR (Institut Belge pour la Sécurité Routière) nach mehreren Meldungen eine Untersuchung ein.
In Luxemburg wurde bislang kein Fall offiziell gemeldet. Dies bestätigt jedenfalls das Luxemburgische Institut für Normung, Zulassung, Sicherheit und Qualität von Produkten und Dienstleistungen (ILNAS). „Bis heute hat das ILNAS keine Beschwerden oder Informationen von Verbrauchern zum Thema ‚Phantombremsungen‘ erhalten”, heißt es dort. Das Ministerium für Mobilität und öffentliche Arbeiten bestätigt: „Dem Ministerium sind keine Phantombremsungen im Großherzogtum Luxemburg bekannt.“
Die Aussagen, die wir gesammelt haben, sind jedoch eindeutig. Mehrere Personen geben an, dass sie sich nicht die Zeit genommen hätten, den Behörden die Vorfälle zu melden. „Aus Mangel an Zeit und Wissen. Ich habe nichts weiter unternommen, da es letztendlich ‚nur‘ ein großer Schreck war. Das ist schade, denn ich halte es dennoch für wichtig”, betont Martine, die von sich sagt, dass sie ein Gefühl der Machtlosigkeit spürt.
Eine weitere wichtige Frage beschäftigt die Betroffenen: Wer ist im Falle eines Unfalls verantwortlich? Die Antwort darauf scheint besonders heikel zu sein. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Fahrer haftbar gemacht wird, da er die Kontrolle über sein Fahrzeug behalten muss”, sagt eine Quelle aus Behördenkreisen und fügt hinzu: „Auf jeden Fall muss ein Ausfall am System nachgewiesen werden, und man muss gut beraten sein, um zu wissen, an wen man sich wenden kann.“
Das französische Verkehrsministerium leitete eine nationale Untersuchung ein. Die Hersteller werden befragt und auch Tests sind vorgesehen. Für Autofahrer ist ein Fragebogen verfügbar, um die Vorfälle zu erfassen. In Deutschland verlangte das Kraftfahrt-Bundesamt von Herstellern detaillierte Berichte und es könnte Rückrufe anordnen.
Was ist über Phantombremsungen bekannt?
Phantombremsungen stehen im Zusammenhang zu den AEB-Systemen (Automatic Emergency Braking), die seit 2022 in allen Neufahrzeugen in Europa vorgeschrieben sind. Sie wurden entwickelt, um Kollisionen zu vermeiden. Sensoren, Radargeräte und Kameras sollen Hindernisse erkennen. Das Auto bremst, sofern der Fahrer nicht reagiert. Allerdings können mehrere Faktoren eine ungewollte Bremsung auslösen:
– Umgebungsbedingungen: Regen, Nebel, tief stehende Sonne, Schatten
– Kalibrierungsfehler nach Austausch der Windschutzscheibe oder Reparatur
– Softwarefehler oder fehlende Updates
– Interaktionen mit anderen Systemen (automatische Distanzregelung, Spurhalteassistent)
Sind Sie schon einmal Opfer einer Phantombremsung geworden?
Hier ist ein kleiner Fragebogen, um Ihre Erfahrungen mit einer Phantombremsung mitzuteilen:
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