Zum Inhalt springen
Inscription

Newsletter

Dr. Kim Tofaute, Ergonomieexperte beim Fahrradkomponentenhersteller Ergon in Deutschland, weiß genau: Die Wahl des richtigen Sattels ist entscheidend für den Fahrkomfort. Er erklärt, warum der Körperbau eine wichtige Rolle bei der Auswahl spielt.

Nach welchen Kriterien wird ein Fahrradsattel entwickelt?

Kim Tofaute

Ausgangspunkt ist immer der Fahrradfahrer und die Art, wie er das Rad nutzt. Ein Rennradfahrer hat andere Anforderungen als ein Citybiker. Entscheidend sind Radtyp, Sitzhaltung, Nutzungsart und -dauer. Diese Parameter müssen präzise analysiert werden, um eine passende Sattelform entwickeln zu können.

Welche Rolle spielt dabei die individuelle Anatomie?

Kim Tofaute

Eine sehr große! Neben der Körpergröße und dem Gewicht ist vor allem das Becken entscheidend in Breite, Form und Symphysenhöhe. Männer und Frauen unterscheiden sich anatomisch deutlich. Ein guter Sattel muss diese Unterschiede berücksichtigen, um kritische Druckzonen zu entlasten. Auch Muskulatur und Sitzgewohnheiten fließen in die Definition der perfekten Sattelform mit ein. Das ist mit einem Schuh vergleichbar. Da gibt es auch je nach Fußform, -größe und Nutzungsabsicht viele verschiedene Modelle.

Welche Materialien kommen bei modernen Sätteln zum Einsatz?

Kim Tofaute

Die unterschiedlichen Eigenschaften eines Sattels sind oft gegensätzlich. Sportsättel sind oft leichter, was zulasten der Polsterung geht. Daher ist es wichtig, schon die Sattelschale möglichst gut der Körperform anzupassen. Neue Materialien wie orthopädische Schäume oder 3D-gedruckte Strukturen helfen, Komfort und Leistung zu vereinen. In Highend-Modellen finden sich oft Carbonmaterialien aus dem Motorsport.

Gibt es aktuelle Trends bei der Sattelentwicklung?

Kim Tofaute

Ja, Individualisierung ist ein großes Thema. Es gibt heute für fast jede Anatomie, jede Anforderung und jeden Geldbeutel einen passenden Sattel. Maßanfertigungen sind längst nicht mehr nur den Profis vorbehalten. Im Profibereich gewinnt der Komfort zunehmend an Stellenwert. Entlastungskonzepte wie Kanäle oder Öffnungen im Sattel sind mittlerweile fast Standard. Neue Dämpfungstechnologien und innovative Materialien ermöglichen es, dass sich die immer gegensätzlichen Eigenschaften wie Komfort und Performance zunehmend miteinander vereinen.

Spielen biometrische Daten und Sensortechnologien hier eine Rolle?

Kim Tofaute

Einige Sattelhersteller betreiben in speziellen Laboren einen enorm hohen Forschungsaufwand, um den perfekten Sattel zu entwickeln. Der Goldstandard sind hoch entwickelte Satteldruckanalysen, die mit aufwendigen Sensortechnologien durchgeführt werden. Damit kann das Unsichtbare sichtbar gemacht werden. So können Muster erkannt und optimierte Lösungen entwickelt werden. Profisportler liefern zusätzlich wertvolle Erfahrungswerte.

Revolutionieren 3D-Druck und intelligente Materialien den Markt?

Kim Tofaute

In den letzten Jahren sind viele verschiedene innovative Lösungen entwickelt worden. Die 3D-Drucktechnik ist noch jung, aber vielversprechend. Aktuell wird sie hauptsächlich im Profisport angewendet. Für Hobbyfahrer wird das erst interessant, wenn die Fertigung effizienter und günstiger wird. Bei neuen orthopädischen Schäumen können heute schon leistungsfähige und günstige Produkte angeboten werden. Wenn Dämpfungsmaterialien in eine neuartige Sattelkonstruktion integriert werden, kann der Komfort und die Leistungsfähigkeit noch einmal deutlich erhöht werden. Auch KI und Elektronik könnten künftig beim Sattel eine Rolle spielen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Wie findet man als Laie den richtigen Sattel?

Kim Tofaute

Wie gesagt gibt es mittlerweile eine riesige Auswahl an Sätteln. In diesem Produktdschungel das richtige Modell zu finden, ist gar nicht so einfach. Ich empfehle, sich von einem Fachhändler beraten zu lassen. Auch online gibt es Hilfen, die mit wenigen Klicks eine Empfehlung geben. Beispiel ist hier Sattelfinder. Auf jeden Fall sollte sich ein Käufer über folgende Dinge Gedanken machen: Radtyp, Einsatzbereich, Sitzhaltung, Beckengröße und -form, eventuelle Sitzprobleme und Art der Nutzung (zum Beispiel kurze oder sehr lange Strecken).

Was passiert, wenn man den falschen Sattel nutzt?

Kim Tofaute

Sitzprobleme sind das häufigste Problem beim Radfahren. Je nach Umfrage geben 50 bis 70 Prozent aller Radfahrer an, Sitzbeschwerden zu haben. Sie reichen von Taubheitsgefühlen bis zu Entzündungen. Selbst leichte Beschwerden können den Fahrspaß stark mindern.

Liegt das Problem immer am Sattel?

Kim Tofaute

Nicht unbedingt. Ein Sattel ist immer nur so gut wie die Einstellung. Höhe, Neigung und Abstand zum Lenker müssen passen. Ist das Rad zu groß, kann auch ein guter Sattel nicht viel ausrichten. Wer sich nicht sicher ist, sollte eine Bikefitting-Beratung in Anspruch nehmen oder mit Fitting-Tools selbst messen und testen. Wichtig ist, dass die Fahrleistung nach der Einstellung erst langsam gesteigert wird, damit sich der Körper daran gewöhnen und anpassen kann.

Gibt es den „Universalsattel“ für alle?

Kim Tofaute

Leider nein. Das Einfachste wäre, wenn ein Sattel für alle Radfahrer passen würde. Aber das kann es aus den oben genannten Gründen nicht geben. Auch einstellbare bzw. verstellbare Sättel (zum Beispiel die Sattelbreite) sind oft nur ein Kompromiss und lösen das Problem nicht. Es gibt einfach zu viele verschiedene Aspekte, die ein guter Sattel erfüllen muss. Mein Tipp ist daher: ausmessen und beraten lassen. Dann die Empfehlungen testen und dabei auf die richtige Einstellung achten.