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Fahrerassistenzsysteme können Stürze beim Motorradfahren verhindern. In dieser und der nächsten Ausgabe von „Autotouring“ stellt Frank Maas die wichtigsten „Helfer“ für Biker vor.

Für Biker ist das Serpentinenfahren eines der schönsten Erlebnisse, jedoch ereignen sich leider fast 50 Prozent aller Motorradunfälle in Kurven. Sie können aus verschiedenen Situationen heraus passieren: durch zu starkes Bremsen beim Anfahren der Kehre, im Verlauf der Kurve wegen zu hoher Geschwindigkeit oder im Ausgang der Biegung durch zu starkes Beschleunigen. Ob es sich um einen groben Fahrfehler oder etwa um eine falsche Einschätzung der Situation handelt: Ohne Assistenzsysteme ist ein Sturz in diesen Fällen oft unvermeidbar.

Nach dem aktuellen Stand der Technik sind Motorräder mit etlichen Sicherheits- sowie Komfort-Fahrhilfen ausgerüstet: Hinterrad-Abhebe-Kontrolle, Anti-Wheelie, dynamische Feder- Dämpfer-Systeme, Abstandssensor und Totwinkelassistent sind nur einige dieser Assistenzen. In diesem ersten Teil unserer Serie erkläre ich Ihnen das Prinzip und die Funktionsweise des ABS und der Traktionskontrolle.

ABS

Im Bereich der Sicherheitssysteme gilt das Motorrad-ABS (Antiblockiersystem) als am weitesten entwickelt. Mittlerweile können Techniker auf fast 36 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Diese Einrichtung wurde erstmals 1988 für die BMW K100 angeboten und ist seit 2017 Pflicht für alle Neumotorräder. Bei einer Vollbremsung durch den Fahrer auf gerader Strecke sorgt ein Steuergerät im Zusammenhang mit der Raddrehzahl-Sensorik für den perfekten Bremsdruck. Sogar erfahrene Biker würden keine kürzeren Bremswege ohne ABS erreichen. Nicht nur wird das gefährliche Blockieren und damit ein Wegrutschen des Reifens verhindert, zusätzlich wirken sich die weiterdrehenden Räder durch den Kreiseleffekt stabilisierend auf den Bremsvorgang aus. Voraussetzung eines gelungenen ABS-Bremsmanövers ist, dass der Fahrer den Druck am Hebel und dem Pedal nicht verringert.

Kurven-ABS

Obschon bei Geradeausfahrt ein ABS optimal funktioniert, sieht es bei heftigen Bremsmanövern in Kurven schnell brenzlig für den Fahrer aus, zum Beispiel bei einer sogenannten „Schreckbremsung“. Durch die sehr geringe Auflagefläche des Reifens in Schräglage ist das herkömmliche ABS-Berechnungsverfahren schnell überfordert und kann den optimalen Druck nicht anpassen. Aus diesem Grund sind aktuelle Motorräder immer öfter mit Kurven-ABS ausgerüstet. Mithilfe von Schräglagen-Sensorik wird die Neigung Ihres Bikes erfasst. Der Rechner übermittelt einen verminderten Druck bei den doch wesentlich reduzierten Seitenführungskräften an die Bremssättel weiter. Dies bedeutet einen beachtlichen Sicherheitsgewinn für Sie als Fahrer, da zusätzlich die Kurvenlinie beibehalten werden kann. Einige Konstrukteure verfeinern dieses System mit dem sogenannten „Motorcycle Stability Control“ (MSC). Noch bevor das Kurven- ABS deutlich eingreift, wird hier der Bremsdruck in Schräglage dauerhaft mit der übertragbaren Bremsleistung abgeglichen und angepasst. Da es sich um Mikroregelungen handelt, bei denen entweder der Druck leicht ansteigt und in Millisekunden wieder minimal reduziert wird, merken Sie als Fahrer diese subtilen Eingriffe nicht. Gegenüber einem normalen Kurven-ABS verläuft der Bremsvorgang in Kurvenfahrt mit MSC deutlich geschmeidiger.

Traktionskontrolle

Motorräder, die einer gewissen Kubik- Klasse angehören, sind heute leistungsstark. Um das Drehmoment sowie die zahlreichen Kilowatts noch zu beherrschen und Ihr Bike sicher bewegen zu können, sind Traktionskontrollen verbaut. Beim Beschleunigen kann ein durchdrehendes Hinterrad sich nicht nur besonders gefährlich erweisen bei Schräglagen, sondern auch beim Geradeausfahren bei schlechten Straßenverhältnissen. Die Antischlupfregelung arbeitet ähnlich wie das ABS mit der Raddrehzahl-Sensorik. Hier wird jedoch nicht ein blockierendes Rad erfasst, sondern der durchdrehende Hinterreifen, der sich also schneller bewegt als das Rad vorne. Hierzu werden über die Motorsteuerung Kraft und Leistung reduziert, bis der Reifen wieder den optimalen Grip aufweist. Ein zu abruptes Eingreifen der Motorelektronik kann jedoch unangenehme Lastwechsel mit sich bringen, als Folge einer zu starken Beschleunigung in Schräglage. Daher entwickelt die Industrie zunehmend eine schräglagenabhängige Traktionskontrolle, die beim geringsten Schlupf am Hinterrad die geforderte Kraft hochsensibel reduziert oder wieder minimal freigibt. Diese Interaktion erfolgt auch ohne spürbare Rückmeldung für Sie als Fahrer und ist als Vorstufe der Standard- Schlupfkontrolle integriert.

Beachten Sie jedoch trotz aller modernen Technik, dass es sich – wie der Name es verrät – um eine „Fahrhilfe“ handelt. Auch die besten elektronischen Helfer können die Grenzen der Physik nicht überlisten.